16.04.

WIE TODD WILLINGHAM ZUM TODE VERURTEILT WURDE

EINS
der erste teil des prozesses gegen todd willingham wird "guilt/innocence-phase" genannt. sie beschäftigt sich, wie der englische name bereits sagt, mit der frage, ob willingham des mordes an seinen töchtern schuldig ist oder nicht. über das strafmaß bzw die art der strafe wird zu diesem zeitpunkt noch nicht entschieden. die frage, die der richter stellt und die die jury im fall willingham mit "ja" beantworten wird, lautet: sind sie sich ohne jeden zweifel sicher, dass todd willingham seine kinder willentlich umgebracht hat?
das urteil der jury - dass wilingham schuldig sei - begründet sich auf drei beweisen: 1. einem gutachten zweier lokaler feuerwehrmänner, die den brand im hause der willinghams einwandfrei als brandstiftung sehen wollen; 2. aufgrund der zeugenaussage eines mithäftlings, todd habe ihm gestanden, dass er seine kinder umgebracht habe, um spuren des missbrauchs durch seine frau stacy zu vertuschen; 3. aufgrund verschiedener inkohärenter zeugenaussagen von nachbarn und freunden, todd sei nicht wirklich traurig gewesen nach dem tod seiner kinder.

ZWEI
nachdem die jury willingham für schuldig befunden hat, geht der prozess über in die zweite phase, die "punishment-phase" - am ende dieses prozessteils muss die jury darüber entscheiden, ob willingham zum tod durch giftspritze oder zu lebenslanger haft verurteilt wird (eine andere option gibt es für jemanden, der in der "gulit/innocence-phase" des mordes für schuldig befunden wurde, nicht). um dies zu entscheiden, muss die jury am ende dieses zweiten prozessteils zwei fragen, sogenannte "special issues" beantworten. die erste frage, die der richter stellen und die die jury mit "ja" beantworten wird, lautet: stellt der angeklagte eine bleibende gefahr für die gesellschaft dar? die zweite frage, die die jury mit "nein" beantworten wird: ist eine lebenslange haftstrafe anstatt der todesstrafe sinnvoll? - wird (wie im fall willingham) special issue 1 mit "ja" beantwortet und special issue 2 mit "nein" beantwortet, verurteilt das gericht den angeklagten zum tod durch die giftspritze.


WARUM TODD WILLINGHAM NICHT HÄTTE HINGERICHTET WERDEN DÜRFEN

EINS
aus heutiger sicht scheint es völlig unvorstellbar, wie die jury zu der ansicht gelangen konnte, es gäbe keine zweifel an willinghams schuld. die drei beweisstämme, auf die sich die krone des urteils stützt, sind alle drei in der jüngeren vergangenheit widerlegt bzw. widerrufen worden: 1. das damalige brandgutachten ist von international renommierten feuerexperten widerlegt worden - die damaligen methoden seien völlig überaltet gewesen und es gebe kein anzeichen dafür, dass diesem feuer eine brandstiftung zu grunde gelegen habe; 2. die zeugenaussage, die den drehpunkt der anklage bildet, hat der zeuge im nachhinein widerrufen - die staatsanwaltschaft habe ihn zu einer solchen aussage gedrängt, um die eigene haftstrafe zu mildern; 3. die zeugenaussagen, die willingham als "nicht traurig genug um unschuldig zu sein" darstellten, waren schon zum zeitpunkt ihrer aufnahme extrem widersprüchlich (manche geben zum beispiel an, er habe nicht geweint nacht dem feuer, andere wiederum widersprechen dem) und in jedem falle so subjektiv, das sie auch damals kaum über jeden zweifel erhaben waren.
nicht alle dieser widersprüche waren der jury zum zeitpunkt der veurteilung einsichtig: ihr urteil gründete sich auf dem glauben an das brandgutachten; ein zweites gab es noch nicht. insofern ist verständlich, dass die jury ohne zweifel davon ausging, dass die willingham-töchter opfer von brandstiftung waren. die zeugenaussage, willingham habe gestanden, war zum zeitpunkt der veruteilung noch nicht widerrufen worden, dürfte aber damals schon nicht ohne zweifel genießbar gewesen sein: der zeuge gab im zeugenstand noch an, er sei nur "manchmal" ehrlich und machte auch aus seiner kriminellen vergangenheit und gegenwart keinen hehl. darüber hinaus verstrickte er sich in widersprüchen in seiner aussage - dass auch die staatsanwaltschaft ihn nicht völlig ernst nahm, ist spätestens daran zu erkennen, dass die von ihm propagierte theorie, willingham habe seine kinder getötet, um missbrauch durch seine frau stacy zu decken, überhaupt nicht verfolgt wurde. die anderen zeugenaussagen waren schon zum zeitpunkt der veurteilung im höchsten maße widersprüchlich und inkohärent. selbst wenn die jury also nach ihrem damaligen kenntnisstand davon ausgegangen sein mag, dass eine brandstiftung vorlag, gab es auch aus heutiger sicht keine hinreichenden beweise dafür, dass todd willingham ohne zweifel der urheber derselben war, und somit ist ein "ja" auf die frage, ob willingham ohne zweifel schuldig am mord seiner kinder sei, absurd.
noch absurder scheint aber, dass das urteil nicht aufgehoben wurde, nachdem das brandgutachten angefochten und der hauptbelastungszeuge seine aussage widerrufen hatte - dies fand noch vor willinghams hinrichtung statt und es hätte somit die gelegenheit gegeben, den irrtum von damals nicht endgültig zu machen.

ZWEI
selbst wenn die jury sich einig darüber war, dass willingham schuld am tod seiner kinder war, ist es in höchstem maße fragwürdig, warum er erstens eine bleibende gefahr für die gesellschaft darstellen sollte und zweitens lebenslange haft nicht die adäquate strafe darstellen sollte. war von willingham zu erwarten, dass er noch weitere kinder umbringen würde? aus dem gefängnis heraus und ohne, dass die opfer seiner eigenen familie entstammten? wäre ein leben ohne die eigenen kinder nicht strafe genug gewesen?

DREI
was bei der durchsicht der akten enorm auffällig bleibt, ist, dass nie ein motiv für willinghams tat gefunden wurde. es wurden keine zeichen des missbrauchs an den kinderleichen gefunden, willinghams frau stacy betonte - genau wie zahlreiche andere zeugen -, er habe die kinder nie angerührt oder geschlagen, was die durch den hauptbelastungszeugen aufgestellte theorie widerlegte. warum hätte willingham seine kinder umbringen sollen?
(cr)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen